Heul doch!

 


Durch das Starren auf Bildschirme, werden unsere Augen immer schlechter. Sogar Ihre Tageszeitung plant daher, die Druckschrift zu vergrößern. Den Newsletter, den ich wöchentlich verschicke (hier gehts zum Abo), wollte ich im neuen Jahr gleichfalls lesefreundlicher gestalten. Dazu habe ich den Schriftgrad von 12 auf 14 Punkt erhöht und auf den „Dark Mode“ umgestellt. „Dark Mode“, das klingt verrucht und ist auch noch extrem angesagt. Viele Betriebssysteme und Browser bieten mittlerweile die weiße Schrift auf schwarzem Hintergrund an. Damit sollen nämlich nicht bloß die Augen geschont, sondern zudem auch noch Strom gespart werden. Der Akku hält eben länger, wenn das Display weniger beleuchtet werden muss.



Gerade die ältere Leserschaft, bei der die Augen sowieso nachlassen, sollte da doch zufrieden und dankbar sein. Dachte ich. Doch weit gefehlt. Der Aufschrei war groß. Man werde nicht wegen eines popeligen Newsletters gewohntes Leseverhalten aufgeben. Längere Texte würden so zur Qual. Selbst Goethe wurde bemüht, der behauptet habe „nur was man schwarz auf weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen“. 



Ich habe nachgeschaut. Von „nur“ stand im Faust nichts.



Aber egal! Wenn du im Netz die Meute gegen dich hast, selbst wenn es sich dabei um eine altersmäßig gesetzte und offenbar über Schulbildung verfügende handelt, dann gibst du besser klein bei. 



Inzwischen wurden auch die üblichen Experten zum „Dark Mode“ befragt. Demnach ist die Augenfreundlichkeit nicht erwiesen. Schlecht sei vor allem, dass die Augen vor dem Bildschirm schnell austrocknen. Die Schriftfarbe spiele hingegen keine Rolle. 



Wenn einem also beim Lesen die Tränen kommen, so schließe ich daraus, dann ist das gesund. 



Bei denjenigen die meine kritischen Beiträge gerne mit „Heul doch!“ kommentieren, möchte ich mich deshalb auf diesem Weg entschuldigen. Sie meinen es wahrscheinlich gut mit mir.  


 

 



No Satisfaction

 


Seitdem ich entdeckt habe, dass es auch andere Suchmaschinen außer Google gibt, suche ich lieber. Vorzugsweise nach mir. Mittlerweile nicht bloß aus Eitelkeit, sondern aufgrund einer unbestimmten Sorge, dabei auf Selbstbefriedigungsvideos zu stoßen. Mir wurde nämlich von irgendwelchen Nicks oder Brians mehrfach per Mail angedroht, sie würden Bewegtbilder, die mich beim Anschauen von Pornofilmen zeigen, ins Netz stellen und meinen Kontakten die Links schicken, sofern ich nicht ein paar Hunderter an sie überweise. 


Diese Nicks und Brians wussten sogar mein Passwort. Das verunsichert einen natürlich schon ein bisschen.


Gezahlt habe ich aber nicht. Die Mails kamen nämlich derart gehäuft, dass ich mir die Befriedigung all dieser Absender gar nicht hätte leisten können. Daran hapert dieses Geschäftsmodell. Irgendeinen rechtssicheren Vertrag müsste man schon abschließen können, um sicherzustellen, dass sich Nick und Brian - und am Ende taucht vielleicht noch ein Steve auf - nicht abermals melden, sobald ihnen das Geld ausgegangen ist.


Auch sonst fand ich kaum Masturbationszeug bei meiner Suche. Offenbar waren alles doch nur leere Drohungen. Dafür landete ich bei einem sogenannten Leakchecker. Der teilte mir mit, dass meine Mailadresse und mein Passwort ausspioniert wurden und auf einer allgemein zugänglichen Liste einsehbar sind. Mehr als zwei Milliarden Zugangsdaten seien auf solchen Listen gelandet. Uff, wenigstens bin ich nicht der einzige Depp!


Sie rieten mir übrigens, besagtes Passwort nicht mehr zu benutzen und mir für jede Seite ein anderes mit möglichst vielen Zeichen, Großbuchstaben, Zahlen und Sonderzeichen auszudenken. Haben sie die noch alle? Wie soll ich mir das denn merken? In meinem Alter? Und überhaupt: Ich vertraue, angeblich seriösen Unternehmen wie Linkedin, Dropbox, Adobe, Yahoo oder eBay meine Geheimnisse an und die lassen sie sich klauen? Nächstes Mal schaue ich nach, ob deren Firmenchefs Nick oder Brian heißen. Könnte gut sein.   


 

 

 


Alt ist das neue Hübsch

 


Gehören Sie noch zu denen, die ihre Bilder am liebsten mit Photoshop oder einem anderen Bildbearbeitungsprogramm aufhübschen? Die Falten retuschieren, Pickel und Leberflecken entfernen, die Haut bräunen… Vergessen Sie es! „Alt aussehen“ ist inzwischen der neue Trend. Dabei hilft die kostenlose und mittlerweile massenhaft eingesetzte „FaceApp“. Damit lädt man ein Bild von sich auf einen Server hoch und bekommt dann ausgespuckt, wie man in 30 Jahren aussehen wird. Die App lässt das Haar ergrauen, fügt Falten oder Tränensäcke hinzu, trübt die Augen und macht aus flotter Kleidung irgendwas Pastellfarbenes. 



Auf Facebook und Instagram haben mir dieser Tage mehrere Bekannte die Ergebnisse ihres Alterungsprozesses serviert. Zunächst dachte ich, die hätten ihre Profilbilder endlich mal angepasst. Die meisten meiner Facebook-„Freunde“ schauen nämlich ohnehin schon so aus. Die sind halt in meinem Alter. Da will man allerdings gar nicht mehr wissen, wie man in 30 Jahren aussieht, sondern allerhöchstens, ob man da überhaupt noch aussieht. 



Die Warnungen vor dieser Gratis-App kamen jedoch gleich hinterher. Zunächst hieß es, alle hochgeladenen Bilder würden auf einem russischen Server landen und von Putin für Überwachungszwecke gehortet. Dann stellte sich heraus, der Server steht in den USA. Dort wird aber genauso eifrig gesammelt. Auch der deutsche Geheimdienst sei interessiert an den Bildern und den damit verknüpften Daten.



Mir fiel sofort eine Geschäftsidee ein. Eine „Fressepolier-App“. Analog natürlich. Ich käme auch persönlich vorbei, um Interessierten das Gesicht zu vermöbeln. Hinterher können die Überwachungsfuzzis mit den gespeicherten Bildern jedenfalls nichts mehr anfangen und schauen dann gleichfalls ziemlich alt aus.     


 

 

 


Lesen: anstrengend, aber gesund

 


Danke, dass Sie mich noch lesen! Danke, dass Sie überhaupt noch lesen! Selbstverständlich ist das längst nicht mehr. Sogar dort, wo die Texte relativ kurz sind, auf Facebook oder Twitter, wenden sich die Leute ab und tummeln sich lieber bei Instagram, Youtube oder Tik Tok. Da sprechen die Bilder. Da bekommt man keine Rechtschreibfehler oder missverständliche Formulierungen vorgehalten. Hass, Missgunst oder Menschenverachtung sind ebenfalls seltener. Höchstens das Recht am eigenen Bild könnte Abmahnbüros auf den Plan rufen. Aber die vertreten noch keine Katzenbabys oder Autos, die auf Radwegen parken.



Letztere hätte man vielleicht zum Jugendbildmotiv 2019  küren können. In der Nachfolge der inzwischen eingestellten Wahl eines "Jugendwort des Jahres". Was nur konsequent war, denn mit dem geschriebenen Wort hat es die Jugend nicht mehr so. Dies ist wohl auch ein Grund dafür, warum Zeitungen zunehmend auf Podcasts setzen. Vielleicht hört uns ja jemand, wenn uns schon keiner liest.



Immerhin meldeten die Buchverlage, dass jüngere Menschen zunehmend Hörbücher nutzen, weil sie nicht dauernd vom Bildschirm gestresst werden wollen. Vielleicht gehen sie demnächst einen Schritt weiter. Spätestens wenn eine Hupe oder Klingel wegen des Kopfhörers nicht mehr an ihr Ohr dringt, könnten die Überlebenden entdecken, dass es stressfreier und ungefährlicher ist, daheim am Sofa eine Deppenkolumne in einem Seniorenmagazin einfach nur…. zu lesen.