Im alten Netz unterwegs

 


Das Netz, in dem ich vor allem auch wegen dieser Kolumne unterwegs bin, ist nun ja auch schon in die Jahre gekommen. Vor lauter Hecheln nach den neuesten News und Trends gerät das leicht in Vergessenheit. Immer häufiger (wahrscheinlich ist das das Alter) passiert es mir, dass ich mich ausklinke und ins alte Web abdrifte, in die gute alte Zeit als Johannes Heesters noch lebte und GIFs der neueste Schrei waren.



Ins alte Web gelangt man über das Portal oldweb.today. Dort kann man nicht nur wie im Internet-Archiv „Wayback Machine“ alte Webseiten aufrufen, sondern sich dafür sogar einen alten Browser heraussuchen. Etwa den Netscape Navigator oder die erste Version des Internet Explorers. Dazu noch eine alte Cassette in den Recorder gelegt, und schon ist man wieder in den beschaulichen Neunzigern.



„Retardierst du jetzt wieder?“ werde ich dann gefragt. Aber da bin ich erhaben. Das sind Leute, die ihre Wurzeln nicht kennen und denen die Gnade der frühen Geburt fehlt. Manch aktuelle Aufgeregtheit relativiert sich auch beim Besuch alter Nachrichtenseiten. So habe ich etwa auf der Startseite von Spiegel-Online 1996 eine Meldung gefunden, der Verfassungsschutz möchte eine Krypto-Gesetz um verschlüsselte Botschaften im Internet mitlesen zu können. Gerne surfe ich auch auf meine eigenen Seiten von damals oder auf die von alten Bekannten. Wie rührend wir uns damals beispielsweise freuten, mit billigen Malprogrammen erstellte Bewegtbilder auf die Seite zu packen, oder Logos mit einem Blinkbefehl zu animieren. Und die Farbenfreude!  Selbst seriöse Anbieter kamen damals so daher. Die Tageszeitung oder die Stadtverwaltung. 



Ich verliere mich gerne im alten Netz. Da vergesse ich Raum und Zeit. Manchmal komme ich da leider auch durcheinander. Als ich neulich auf einer Nürnberger Seite lesen musste „Oberbürgermeister Scholz“ habe zu einem Thema ein Statement abgegeben, platzte mir der Kragen. Nachdem ich weder eine Kommentarfunktion noch irgendwelche Social-Media-Buttons gefunden hatte, ging ich direkt auf die Facebookseite des Anbieters, nannte den dort einen Penner, der noch nicht einmal wisse, wie der aktuelle OB heiße, aber sich im Netz wichtig mache. 


Am Ende stellte sich raus, das war eine Seite von 1996und ich musste dann ein bisschen zurückrudern.


 

 

 


Deutsch lernen, Geld sparen

 


Mit der deutschen Sprache geht es rapide dahin. Ja, auch in der gedruckten Zeitung. Noch mehr freilich im Netz! Da schert sich keine alte Sau um Kommasetzung, die korrekte Nutzung des Wemfalls oder den Unterschied zwischen das und dass.  Sprachwahrer laufen zwar Amok, mit ihren Bemühungen aber meist ins Leere. Das Uservolk hört nicht auf Germanisten, erst recht nicht, wenn sie promoviert und mit erhobenem Zeigefinger unterwegs sind. Höchstwahrscheinlich hört auch keiner auf einen Deppen wie mich. Dabei habe ich einen wirklich triftigen Grund, warum korrektes Deutsch im Netz nicht nur wichtig ist, sondern auch den Geldbeutel schont.



Von zwei ehemaligen Kollegen habe ich jeweils eine Mail mit folgendem Wortlaut  bekommen - die erste vor gut einem Jahr, die zweite vor wenigen Tagen:



„lch hoffe du hast dies schnell erhalten, ich bin nach Zypern verreist und habe meine Tasche verloren samt Reispass und kreditkarte. Die botschaft ist bereit, mich ohne meinen Pass fliegen zu lassen. Ich muss nur noch für mein ticket und die hotelrechnungen zahlen. Leider habe ich kein Geld dabei, meine kredit karte könnte helfen aber die ist auch in der Tasche. Ich habe schon kontakt mit meiner Bank aufgenommen, aber sie brauchen mehr zeit, um mir eine neue zu schicken. Ich wollte dich fragen, ob Du mir 1000,-EUR so schnell wie möglich leihen kannst. Ich gebe es dir zurück sobald ich da bin. Das Geld durch Western Union ist die beste möglichkeit. Ich muss unbedingt den nächsten Flug bekommen. Ich warte auf deine Antwort.“



In dem Text sind schon allein zehn Fehler wegen Großschreibung drin. Sollte es sich also beim Absender um jemanden handeln, der auf korrekte Schreibe Wert legt, könnte man stutzig werden. Ist der Schreiber aber einer, der die schöne deutsche Sprache regelmäßig mit Füßen tritt, dann schöpft der Adressat keinen Verdacht und überweist, weil er ein Netter, Hilfsbereiter ist, die gewünschten 1000 Euro. Den Betrag sieht er allerdings nie wieder.



Das Geld landet nämlich bei irgendwelchen Betrügern in Nigeria oder sonstwo, wo man es mit der Rechtschreibung ebenfalls nicht so genau nimmt. Die Betrüger haben den Mailaccount - in den genannten Fällen  war es Googlemail (kostenlos bedeutet halt meistens nicht sorglos)  - des Betreffenden gekapert  und  den Hilferuf an sämtliche Mailadressen in der Kontaktliste verschickt. Wer einfach nur auf Antworten klickt, hat dann den Betrüger dran und merkt es nicht.



Wenn Sie also das Geld Ihrer Freunde nicht irgendwelchen Gangstern  in den Rachen schmeißen wollen, bemühen Sie sich bitte in ihrem Schriftverkehr um richtige Grammatik und korrekte Groß- und Kleinschreibung.  Und wenn Sie fehlerhafte Mails erhalten von Leuten, die es eigentlich besser wissen müssten, :kontaktieren Sie diese über ein anderes Netzwerk oder per Telefon und fragen Sie, ob Sie helfen können. Und noch was: Sollte Ihnen jemand öfter Mitteilungen schicken, die nur in Versalien daherkommen, dann sollten Sie ihn entweder blockieren und entfreunden oder überlegen, ob Sie ihm nicht 1000 Euro  persönlich überreichen, damit er eine Therapie für Digitalbrüller antritt.


HABEN SIE DAS VERSTANDEN?????



 

 

 


Sozial verträgliches Ableben

 


Ich nehme bekanntlich gerne alles mit, was angstmäßig im Angebot ist. Zum Beispiel die Nomophobie. Das ist die Angst davor, keinen Handykontakt zu haben. Wenn die Akkuladung unter 50 Prozent fällt, beginnt deswegen bei mir bereits die Panik. Wenn ich in Gegenden mit schlechter Netzabdeckung unterwegs bin, bilden sich Pusteln. Inzwischen habe ich allerdings eine Angst an Land gezogen, für die es noch gar keinen Begriff gibt: die Angst, meinen Hinterbliebenen in spe auf den Sack zu gehen.



Bisher habe ich, wie die meisten, darauf gehofft, nach mir werde die Sintflut hereinbrechen. Damit konnte ich mir wenigstens jene Furcht, als Strafe für mein ausschweifendes Leben von den Wassermassen weggespült zu werden, vom Leibe halten. Doch was, wenn sie dann doch nicht sofort nach meinem Ableben ausbricht, die Sintflut?



Dann müsste sich die Nachwelt erst einmal um meine wertvollen Vinylscheiben, meine Spectaculum-Bände und meine Sjöwall-Wahlöö-Krimis kümmern. Irgendwer müsste in seinen Regalen Platz dafür freischaufeln. Oder schlimmstenfalls: das Ganze zum Antiquariat schaffen, wo es inzwischen (o tempora!)höchstens noch zwei, drei Euro dafür gibt. Und weil es das Internet dann ebenfalls nicht wegschwemmt, muss irgendwer meinen digitalen Nachlass regeln. Im Lauf der Jahre habe ich mich nämlich nicht nur bei Netscape, Yahoo oder AOL angemeldet, sondern auch im iTunes-Store, bei Google, Wordpress, Threema oder Facebook (die haben mich eben erst aufgefordert, jemandem zum Geburtstag zu gratulieren, der bereits vor zwei Jahren gestorben ist). Alle möglichen Onlinehändler haben meine Daten und meine Kreditkartennummer. Dazu gesellen sich noch etliche Bankkonten, Netflix, die BahnCard, zahlreiche Abos... All das will gekündigt und ordentlich abgewickelt werden. Da sitzt einer schon ein paar Monate, bis er sich durch den Zettelkram und die mehreren hundert Zugangsdaten gepfriemelt hat.



Doch, wo Gefahr ist das wächst das Rettende. Doktor Google hat mir geholfen. Mittlerweile gibt es etliche - nicht ganz billige (aber was tut man nicht alles für die Nachwelt) - Passwortmanager, die  den ganzen Wust an Accounts organisieren. Da ist nur noch eine Mailadresse und ein einziges Passwort nötig und schon hat man Zugriff auf ein gesamtes, digitales Leben. Ins Testament muss man also nur dieses eine Passwort eintragen. Das Erben wird so doch um einiges einfacher.



So bleibt schon im Diesseits wieder Raum für neue Ängste. Zum Beispiel für die Trumpophobie. Also dafür, dass Donald Trump Präsident wird und eines Tages Zugriff auf meinen digitalen Generalschlüssel haben könnte. Deswegen hier noch ein weiterer Tipp vom Furchtdeppen: Keinen Passwortmanager verwenden, der die Daten in den USA bunkert.                                                                                                                  

 

 

 

 


Ein letzter Altherrenwitz

 


Die Welt ein bisschen freundlicher machen, das ist auch mein Begehr. Bei Facebook räume ich deshalb öfters mal mit Hasskommentaren auf. Das kann man durch Klicken auf das Verbergen-Kreuz oben rechts. Dann wird das an jenes 150köpfige Team weitergereicht, das im Auftrag von Facebook üble Kommentare löschen soll. Bei mir waren sie bisher leider etwas reserviert. Vielleicht bedeutet bei denen Hass was anderes.



Unterkriegen lasse ich mich trotzdem nicht. Selbst im realen Leben habe ich dem Hass den Kampf angesagt. Erst neulich traf ich mich mit ein paar betagten Säcken um die Beschwernisse des Alters mit alkoholhaltigen Getränken zu lindern. Nachdem einige Minuten keiner mehr ein Wort gesagt hatte, versuchte ich das Schweigen mit folgendem Witz zu beenden: „Zwei alte Herren treffen sich. Der eine erzählt, er habe ein neues Hörgerät, das super funktioniere. Daraufhin fragt der andere, was es denn gekostet habe.  Daraufhin antwortet der andere: dreiviertel drei.“



Nachdem das Gelächter nicht gerade überschwänglich ausfiel, merkte ich an, dass ich diesen Witz nicht von ungefähr gewählt hätte. Altherrenwitze seien bald verboten Unsere Bundesfamilienministerin habe nämlich angekündigt, gegen sie vorgehen zu wollen.



„Das ist doch diese Manuela Dingsbums, diese Sozenschlampe!“, sprang plötzlich mein schon halb weggenickter Tischnachbar auf. „Genau, die Schwesig, die dumme Fotze!“, ergänzte mein ehemaliger Schulkamerad.



Weil sich gerade die Wirtin zur neuerlichen Bestellungsaufnahme näherte, schrie ich: „Hatespeech, ich muss das melden!“ Sie schaute mich entgeistert an und fragte, was ich denn wolle. „Löschen, blockieren, ähm Lokalverbot, unternehmen Sie doch was!“  „Weswegen denn?“ „Die haben unsere Familienministerin aufs Übelste beleidigt“, sage ich und zeige auf die beiden Hater. „Die Schwesig?" fragte sie. "Der haben sie doch ins Hirn geschissen“. Dann fügte sie hinzu, ich solle mal „runterkommen“. Das hier sei eine Kneipe und nicht das Internet. „Hier geht es kultiviert zu.“