Prosecco auf die Glatze

 


Mein Handy benutze ich eigentlich nur noch zum Fotografieren. Wenn ich irgendwo auftauche, begrüßen mich die Leute jetzt nicht mehr freudestrahlend »Ahh, der Depp im Web!«, sondern mosern: »Da kommt wieder der Depp mit seinem Handy.« Anstatt dass sie froh sind, dass ich sie fotografiere und der Nachwelt erhalte, beschimpfen sie mich. Schöne Bekannte, die man da hat.



Aber selbst wenn ich mich nicht beliebt mache: Ich zerre sie dennoch ins gleißende Licht der Weltöffentlichkeit. Es gibt nämlich flickr.com, und damit kann ich das – sogar kostenlos. Da ist jetzt zum Beispiel mein Freund Rainer drin, wie er sich gerade seine Sauerbratenreste aus den Zähnen pult, der Kurt beim Schiffen vor einem Bahnplakat, die Kerstin, wie sie dem Rudi ihren Prosecco auf die Glatze schüttet, oder der Seppi, wie er betrunken von seinem Stuhl rutscht. Lauter ansehnliche Portraits, mitten aus dem Leben gegriffen und mit meinem Handy eigenhändyg aufgenommen.



Bei flickr.com darf jeder (nach kurzer Anmeldung) eine Galerie anlegen und seine Bilder veröffentlichen, und die sind dann für alle Internetbenutzer frei zugänglich. Ich kann dort nach Bildmotiven genauso suchen, wie mit einer Suchmaschine wie Google oder Yahoo nach Texten. Das geht nicht nur mit Stichworten (bei »Prosecco« taucht Rudis Glatze auf), sondern auch – für Analphabeten oder Formulierungsschwache – mit zeichnerischen Vorgaben. Unter der Adresse labs.systemone.at/retrievr erscheint eine kleine Zeichenfläche, in die man zum Beispiel oben ein bisschen was Blaues hinpinselt und schon tauchen jede Menge Landschaftsfotos mit blauem Himmel auf. Ich habe einen Hund hineingemalt. Mir präsentierte flickr.com zwar tatsächlich ein paar Hundchen, aber auch etliche Kleinkinder und eine Schale mit Pfirsichen. Ist mir wohl nicht so gut gelungen, mein Hund!



Natürlich hätte auch unter dem Stichwort »Depp« jeder meine Bilder finden können, wenn nicht einer meiner schönen Bekannten seinen Rechtsanwalt eingeschaltet hätte. Eines Tages bekam ich jedenfalls Post von einem Dr. Beyer, in dem er mir eine Schadenersatzklage androhte, das Recht am eigenen Bild anmahnte und forderte, das Konterfei seines Mandanten sofort zu entfernen.



Verstanden habe ich das nicht: Jenen bekannten Mandanten habe ich nämlich schon mit viel röteren Nasen und wesentlich hässlicheren, nicht mit ihm verheirateten Mädels angetroffen. Das Bild, das ich da bei flickr.com reingestellt habe, hat ihm nachgerade geschmeichelt. Dem Anwalt habe ich das auch geschrieben und ihm gleichzeitig noch das Zitat des mir ebenfalls bekannten (aber bisher noch nicht fotografierten) Hobby-Philosophen Hugo Baldrian um die Ohren gehauen: »Mehr als die Gerechtigkeit fördern Juristen die Langeweile.«



Er hat sich dann nicht mehr gerührt, der Dr. Beyer. Meine Bilder habe ich nach diesem Vorfall doch lieber auf »privat« gestellt. Angucken kann sie jetzt nur noch, wer von mir die Zugriffserlaubnis bekommt. Anwälte sind leider ausgeschlossen. Die müssen, wenn sie künftig bei flickr.com das Stichwort »Depp« eingeben, mit den Bildern eines amerikanischen Schauspielers vorlieb nehmen, der nicht mal halb so gut aussieht wie meine schönen Bekannten. Das ist nur gerecht.

 

 

 


Überflüssiges muss weg

 


Je weniger man hat, desto weniger kann kaputt gehen. Bei mir ging beispielsweise immer der Drucker kaputt. Alle halbe Jahre brauchte ich einen neuen. Beim alten waren entweder die Düsen verstopft, die Walzen verdreckt oder irgendwelche Fremdkörper in der Mechanik. Hin und wieder wollte der Drucker auch plötzlich nicht mehr mit dem Computer kooperieren. Das kostete mich Nerven, Geld und meistens auch die gute Laune.



Seitdem ich mich entschlossen habe, keinen Drucker mehr zu verwenden, geht es mir viel besser. Das Teil benötige ich gar nicht wirklich. Bilder schicke ich zum Drucken zu Agfa, Texte hänge ich an die Mails an und wenn ich jemandem was schreiben will, dann mache ich das wieder mit der Hand. Ist eh persönlicher.



Mit meinem Druckerverzicht habe ich mich sozusagen gesundgeschrumpft. Für diesen Schritt musste ich allerdings erst alt und lebenserfahren werden.



Hellere Köpfe erkennen schon in jungen Jahren die Vorteile des Ballast-Abwerfens. Zum Beispiel Helmut Kranz, ein vor allem im Internet bekannt gewordener Vorreiter der gezielten Gesundschrumpfung. Helmut Kranz ist Vorsitzender des Vereins »Die jungen Humorlosen«. Der Verein hat erkannt, dass Humor zu nichts nutze ist. Er steigert nicht das Sozialprodukt, er fördert nicht die Karriere, und er zeugt auch keine Kinder. Nicht mal schlank macht er, denn die Folgen des Humors sprechen allenfalls völlig unbedeutende Muskeln im Gesicht an, wo die Fettbildung nicht so ausgeprägt ist und wo durch Witze höchstens zusätzliche Falten entstehen.



»Wir gehen nicht zum Lachen in den Keller, wir finden Lachen prinzipiell albern und lassen es daher ganz«, erklärt uns Helmut Kranz auf seiner Homepage (www.rasputin.de/Humorlos). Kranz erzählt auch davon, wie er eines Tages vom Humor geheilt wurde und danach im Büro seinen mit einem faden Scherz aufwartenden Kollegen abkanzeln konnte: »Mach lieber deine Arbeit vernünftig, statt hier blöd herumzuquatschen.«



Unter der Adresse rasputin.de finden sich übrigens noch weitere Hinweise, wie wir Ballast abwerfen und unser Leben stringenter gestalten können. Zum Beispiel auf der Website von Dr. Peter Brot, einem angeblich bekannten Hirn-Chirurgen. Der hat herausgefunden, wo das Böse im Gehirn sitzt und kann es mit einem operativen Eingriff entfernen. Auf seiner Website hat er viele Dankesschreiben von erfolgreich operierten Patienten aufgelistet.



Ich war ganz beeindruckt. Dennoch kann ich mich noch nicht zu einer Operation aufraffen. Irgendwie habe ich nämlich Angst, mir den Kopf aufmeißeln zu lassen. Dabei ist Angst auch so ein Ballast, der dem Leben die Stringenz raubt. Sollte ich mal wegschmeißen. Ich weiß nur noch nicht wie und in welche Tonne.



 


Spaß ohne Risiken und Nebenwirkungen

 


Mein Freund Werner hat ein neues Auto. Jetzt rennt er überall herum und gibt damit an. Was sie alles kann, die Karre, und dass sie bloß 25.000 Euro gekostet hat.



»Ich hab einen Firefox, der kann noch viel mehr und hat gar nix gekostet«, habe ich dem Trottel geantwortet. Da hat er erstmal Augen gemacht und Ruhe gegeben. Firefox? Davon stand doch gar noch nichts in der ADAC-Motorwelt? Fragend starrte er mich an und schien zu denken: »Kostenlos, wer gibt denn einem Deppen wie dem was umsonst?«. Werner, müssen Sie wissen, ist eine virtuelle Null, ein Altdenker. Der hat sich schon in der Schule Formalin in den Kopf pumpen lassen, damit sein Hirn immer so bleibt, wie es ist. Ich hingegen bin hirnmäßig flexibel, nach oben wie nach unten. Und deswegen klebe ich nicht an altmodischen Fortbewegungsmitteln und solchen Produkten wie dem Internet Explorer, nur weil ich mal viel Mühe aufbringen musste, um letztlich doch nie ganz hinter dessen Bedienung zu steigen.



Den Internet Explorer habe ich jetzt zugunsten von Firefox entsorgt. Den kann man umsonst bei www.mozilla-europe.org/de herunterladen. Doch das ist nur der bescheidene Anfang. Dann geht es nämlich erst richtig los. Der neue Browser (»Ist das nicht ein halbfertiger Wein aus Österreich?«, meinte Schwachkopf Werner, als ich das Wort erwähnte und er seine Sprache wieder gefunden hatte) kann nämlich mit zahlreichen Extras aufgebrezelt werden; unter »Erweiterungen« sind sie bequem zu besichtigen und bei Gefallen herunter zu laden. So kann man Firefox etwa vom Design her an den Computer und die Zimmereinrichtung anpassen. Man kann sich Uhrzeiten aus der ganzen Welt einblenden und von heraufziehenden Unwettern warnen lassen. Wenn ich will, spielt Firefox auch immer meine Lieblingsmusik beim Surfen. Natürlich lassen sich auch Chat-Programme einbauen. Zum Beispiel habe ich mich hier schon mit dem Google-Roboter unterhalten. Während analoge Chatter sonst bei solchen Gelegenheiten gerne ihre Scherze mit mir treiben, geleitet mich der Google-Roboter beim Thema »Schwachsinn« auf die mir bislang unbekannte Seite www.schwachsinn-verteiler.de. Jetzt weiß ich endlich, wo der ganze lustige Krempel herkommt, den einem Kollegen und andere humorige Zeitgenossen gerne per E-Mail schicken, damit man auch mal was zu lachen hat.



Doch auch wenn ich mit »willigen Frauen aus der Nachbarschaft« chatten oder in bestimmten Foren meine vom Mainstream oft abweichende Meinung verbreiten will, dann brauche ich künftig keine Angst vor Spams mehr zu haben. Neulich erst hatte ich bei AOL einen Chatraum für über 50-jährige Grenzdebile betreten und nur mal kurz Hallo gesagt. Seitdem habe ich mein bisher fast verwaistes E-Mail-Fach kaum noch wiedererkannt. Mindestens 20 E-Mails pro Tag gingen da plötzlich ein. Neben billigen Uhren wurde mir die ganze Palette an frei verfügbaren Arzneimitteln, vor allem Viagra, angeboten. Die wissen, was der Depp über 50 braucht. Was sie aber nicht wissen: Ich habe mich von dieser vollgemüllten E-Mail-Adresse inzwischen verabschiedet. Schließlich besitze ich jetzt Firefox und da gibt es Wegwerfadressen. Die gelten nur sechs Stunden lang. Dann ist Schluss. Für die Anmeldung zu irgendwelchen halbseidenen Geschichten langt das. Die Spams gehen ins Leere und man ist trotzdem drin. So soll es sein: Spaß ohne Risiken und Nebenwirkungen.


 


Schnell zur Sache kommen

 


Gerade wir Deppen verlieben uns ja gerne zwischendurch mal. Doch dabei haben wir oft ein Problem: Uns fehlen die Worte. Na gut, irgendetwas mit »Schmetterlingen im Bauch« würde uns gerade auch noch einfallen. Aber erstens zieht das nur noch ganz selten, und zweitens handelt es sich in solchen Fällen oft um »schwere hormonelle Unwetter in tieferen Körperregionen«.



Da ist guter Rat teuer, denkt da mancher Depp und fürchtet, wieder mal nichts geregelt zu bekommen. Aber da ist er falsch gewickelt. Rat und Hilfe gibt es nämlich ganz billig im Internet. Ganz umsonst werden einem unter den Adressen www.liebste.de (an Frauen) oder www.liebster.de (an Männer) die passenden Liebesbriefe geschrieben. Ums Formulieren muss sich der Verliebte keine Gedanken machen, das erledigt der Computer. Lediglich den Namen des oder der Angebeteten muss er eingeben, ein paar persönliche Details und die Art, in welcher der Brief geschrieben werden soll. Kann ja sein, dass man sich noch siezt, dann ist wohl die Stilrichtung »geschäftlich distanziert« angebracht. Wenn man dagegen lieber schneller zur Sache kommen will, dann ist »leidenschaftlich«, »direkt« oder »sehnsüchtig« die richtige Wahl. Dazu will der virtuelle Poet wissen, was der oder die Liebste besonders gern trinkt, in welchem Kleidungsstück man ihn oder sie be-vorzugt sehen möchte und welches Körperteil einen am meisten beeindruckt.



Dann spuckt er so schöne Sachen aus wie:



»Liebste Deppin in Spe,


keine Frau, die ich jemals kennen lernte, war so umwerfend wie Du. Ich kann es kaum mehr erwarten, bis ich endlich Champagner aus Deinem Bauchnabel schlürfen darf. Ich möchte auch gerne Deine Schultern, Knie und Lippen küssen, besonders wenn Du vorher Knoblauch gegessen hast.«



Das ist übrigens die leidenschaftliche Version.



Manchen Frauen, wie beispielsweise meiner Bekannten,


ist so etwas aber offenbar viel zu indirekt. Die gab bei »besonders erwähnenswertes Körperteil« einfach »Pimmel« ein. Der sei bei dem von ihr auserkorenen Typen schon «ziemlich imposant«, meinte sie.



Als sie dann aber den virtuellen Poeten anwies, den Brief zu verfassen, kam eine Fehlermeldung mit der Überschrift: »Ungeeignete Wortwahl«, und darunter ganz fett und mit Ausrufezeichen das böse Wort »Pimmel«.



Bei mir zierte sich der Poet nicht so. Die von mir anstelle der Schultern nachgebesserte »Muschi« lief anstandslos durch. Vielleicht weil der Stoiber seine Frau auch so nennt.



Ach ja: Den fertigen Brief kann man schließlich mit Blumenbildchen und schmeichelnder Musik per Mail verschicken. Wobei das seine Tücken haben kann. Der vom »zauberhaften Lächeln« einer Partybekanntschaft entflammte Engländer Joe Dobbie wurde nämlich jetzt weltweit bekannt, als sein Liebesbrief von der Angeschriebenen – beziehungsweise deren Freundinnen – im Internet einem Millionenpublikum zur Belustigung präsentiert wurde. Der Arme schreibt sicher so bald keinen mehr. Ich sandte meinen Brief, nachdem ich das gelesen hatte, dann auch nicht ab. Muss doch nicht jeder wissen, wo ich am liebsten hinküsse. Da bleibe ich lieber unglücklich, als dass ich mich in aller Öffentlichkeit zum Deppen mache.


 

 


Null Sterne für die Vihagra-Händler

 


Jetzt haben sie mich erwischt, die Schweinepriester! Jeden Tag senden sie mir mehr als zehn Angebote für einschlägige Arzneien wie Viagra, Cialis oder Levitra per E-Mail. Dabei wollte ich doch nur ein bisschen spielen. Und zwar Kinokritiker. Meine Schulkameraden wollten Rennfahrer oder Lokführer werden und durften alle frühzeitig ihre Leidenschaft an Carrera- oder Märklinanlagen abarbeiten. Ich dagegen musste Jahrzehnte – was sage ich: fast Jahrhunderte – warten, ehe ich auf meine alten Tage doch noch die Gelegenheit bekommen sollte, meinen sehnlichsten Wunsch ausleben zu können. Dank Youtube (www.youtube.com)!



Bei Youtube warten Tausende von Filmen auf verkappte Kritiker wie mich. Manche sind mit dem Handy von Amateuren aufgenommen, manche sind richtig professionell und andere sind einfach nur geklaut. Das Beste an allen diesen Filmen ist: Sie dauern nie sehr lange und beschränken sich aufs Wesentliche. Mehr als zehn Minuten Spielzeit erlaubt Youtube nicht. Man kann sich also, wenn der Tag lang ist, über 100 Filme ansehen – und: man kann sie bewerten. Mit Sternchen, wie ein richtiger Kinokritiker. Fünf Sterne heißt »super«, null Sterne bedeutet einen Vollverriss.



Während sich andere Kritiker auf Splattermovies, Bollywood oder den ungarischen Lesbenfilm spezialisiert haben, bin ich durch Youtube zum Fachmann für IFMBUDS(Infünfminutenbetrinkenunddannspeien)-Filme geworden. Inzwischen kann ich ganz genau beurteilen, welche Streifen lebensecht sind und welche einfach nur peinliche Versuche, sich in die internationale Saufbewegung einzuklinken. Letzteren gebe ich null Sterne, was sie im Ranking weit zurückwirft und dazu beiträgt, dass sie kaum noch einer anguckt. Auch in die ADES-Materie (Abnehmendurchekelszenen) habe ich mich schon gut einarbeiten können. Geben Sie nur einmal die Begriffe »Idiot« oder »Trottel« ein, dann finden Sie massenhaft Szenen, bei denen jedes aufkommende Appetitgefühl im Keim erstickt wird. Beispielsweise, wenn einer vorwärts die Rolltreppe herunterfliegt und unten so was von blutig auf die Nase fällt, dass man als Zuschauer schon aus Mitleid auf die Nahrungsaufnahme verzichtet. Das gab natürlich fünf Diätersatz-Sterne.



Einen wunderschönen Tag lang war ich also Kinokritiker. Doch dann musste ich für diese Freuden bitter bezahlen und fast noch selber speien, als ich mein E-Mail-Fach aufmachte. Das hatte ich so eingerichtet, dass praktisch überhaupt keine Mails mehr angekommen waren. Und jetzt war alles voll mit Betreffzeilen wie »Re: VihAGRA«, »VibAGRA«, »Vihagara« und Ähnlichem. Indem sie das absichtlich falsch schreiben, werden die auf »Viagra« (aber auch auf »Hitler«, »Timmendorfer Strand« oder »letzte Mahnung«) eingestellten Spamfilter ausgetrickst. »Ich Depp«, schrie ich erst meinen Computer und dann dessen depperten Bediener an. »Warum musstest Du Dein reales Alter angeben?«.



Inzwischen habe ich das Alter im Youtube-Profil nach unten nachgebessert. Die Angebote für Babynahrung blieben aber aus. Die Viagra-Mails bekomme ich trotzdem noch (Wie schätzen die denn unsere Jugend ein? Das ist ja skandalös).



Ach so: Filme bewerte ich mittlerweile zwar wieder – sogar solche, die erst ab 18 Jahren freigegeben sind. Aber abgehen tut mir dabei keiner mehr. Scheiß Vihagra, Du hast meinen Traum zerstört!